Historische Entwicklung der Hipster-Szene

Grundlegend lassen sich in der historischen Entwicklung der ursprüngliche Hipster und der heutige Hipster unterscheiden. Ersterer entwickelte sich als Randkultur – abhängig vom ausgewählten Ansatz – aus den Bohémians des 19. Jahrhunderts oder in Anlehnung an die Avantgarde-Generation der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er existierte bis zu den 50er Jahren. Letzterer stellt eine Wiederbelebung des ursprünglichen Hipsters ab 1970 dar und hat sich bis in die heutige Zeit zum Mainstream entwickelt.

bis 1970

Kinzey sieht den Ursprung der Hipster bei den Bohémians und Dandys des 19. Jahrhunderts in Amerika. Durch die Urbanisierung zog es sie aus dem Ländlichen in die Städte. Waren sie vorher schon kapitalistisch geprägt, so erreichte diese Eigenschaft ihren Höhepunkt, da ihr Überleben nun vom Verkauf ihrer Ware auf dem Markt abhing. Folglich versuchten sie zu erschaffen, was in ihnen steckte. Von außen betrachtet wurden sie als verrücktes Genie gesehen, das allein rufend in der Nacht stand, und auf ein fragliches Echo hoffte. Sie wurden exzentrisch, verloren ihre sexuelle Moral, konsumierten Drogen und Alkohol, vernachlässigten ihre Hygiene und wurden lässiger im Umgang mit anderen. Die Bohémians machten aus ihrer Armut eine Tugend, kombinierten sie mit Spaß und ihrer Persönlichkeit und kultivierten als Resultat ein Leben, als ob es eine Kunst wäre. Im Laufe der folgenden 50 Jahre entwickelten sich aus dieser Subkultur die Hipster.

Norman Mailer (1957) wählt einen anderen Ansatz für die Entwicklung der Hipster in Amerika. Insbesondere seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts sehen sich die Menschen mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Millionen fielen dem ersten und zweiten Weltkrieg zum Opfer, ein Atomkrieg war genauso möglich wie eine Krebserkrankung. Hinzu kommt eine Lebensführung, die von Mailer als schleichender Tod bezeichnet wird. Der Mehrheit fehlte jegliche Courage ihre eigene Individualität auszuleben. Die Zeiten, in denen es als elitär galt, radikal anders zu sein, waren für immer vorbei. Im Gegenteil, jegliche Form von Widerworten konnte das Leben in eine Krise stürzen. Der Geruch der Angst war überall verbreitet und das Volk litt unter einem kollektiven Mangel an Mut. Es ist wenig überraschend, dass diese Jahre von Konformität und Depression geprägt waren. Die einzige Form von Mut in dieser Zeit wurden von wenigen, isolierten Menschen durch vereinzelte Handlungen getragen.

Mailer zieht den Schluss, dass die amerikanische Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts als totalitär zu bezeichnen ist. Da die Schwarzen über zwei Jahrhunderte lang an der Grenze zwischen Totalirismus und Demokratie lebten, sei es logisch, dass die Kultur der Schwarzen den Ursprung der Hipster bildet. Die Philosophie der Hipster war geprägt vom Blues, Swing und Bebop. Ihr Einschnitt in die Kultur beeinflusste insbesondere die Avantgarde-Generation – die vom Krieg und der Abneigung gegen die zwanziger Jahre desillusionierte Nachkriegsgeneration. Gemeinsam teilten sie eine Ablehnung gegenüber den Männern mit zu viel Geld und Macht und gegen die sozialen Ideen von Monogamie, Familie und eines soliden Liebeslebens.

Die Hipster verkörperten den amerikanischen Existentialisten. Sie akzeptierten die Tatsache, dass sie zu jeder Zeit sofort durch einen Atomkrieg sterben könnten. Oder schleichend durch Anpassung und Unterdrückung ihrer Kreativität und ihrer aufrührerischen Triebe. Sie antworteten darauf mit einer Abspaltung von der Gesellschaft, mit einem Leben ohne Wurzeln, um die Reise zu den rebellischen Geboten ihrer selbst zu begehen. Das Wesen der Hipster lag in ihrem Wissen, dass neue Arten von Siegen und Erfahrungen die eigene Wahrnehmung erweitern, während Niederlagen den Körper angreifen und die eigene Energie gefangen nehmen, bis sie die Gewohnheiten Schwächen, Hoffnungslosigkeit und Selbstzerstörung der Konformisten übernehmen.

Um ein Existenzialist zu sein, war es unabkömmlich, sich selbst zu spüren – das eigene Verlangen, die eigene Wut, das eigene Leid. Man musste den Ursprung und die Art der eigenen Frustration kennen – und wissen, wie man sie befriedigen kann. Das Zentrum ihres Lebens lag in dem Glauben an die Notwendigkeit der Tat und der damit verbundenen Suche nach der eigenen Bestimmung. Die Tiefe ihrer Hoffnungslosigkeit lag in dem Wissen, dass das Leben mit dem Tod enden wird. Als Belohnung dieser Erkenntnis konnten sie jedes Ereignis als gut oder schlecht für ihre Liebe, ihre Handlungen und ihre Bedürfnisse einordnen. Wie Kinder kämpften die Hipster um das süße Vergnügen. Da dieses begrenzt ist, konnten nur die Stärksten gewinnen, diejenigen, die wissen, wie sie ihre Energie finden, einsetzen und erhalten. So wurde nicht nur das Leben, sondern auch die Sprache durch diese Energie betont.
Die Hipster entsagten sich den moralischen Verpflichtungen, da das Leben so komplex sei, dass die Folgen des eigenen Handelns nicht abzuschätzen, sondern zufällig seien. So könne man nicht sagen, ob jemand etwas Gutes oder Schlechtes tue oder ob jemand gut oder schlecht sei. Statt des Charakters betrachteten sie deshalb den Kontext als dominierende Basis menschlichen Strebens. Jeder Mensch wurde als Sammlung von mehr oder weniger vielen kontextbedingten Möglichkeiten gesehen. Manche von ihnen waren fähiger viele Möglichkeiten in weniger Zeit zu erreichen, weil sie die richtige Energie, den richtigen Schwung hatten. Da der Charakter als ständig ambivalent und dynamisch galt und damit einer absoluten Relativität unterlag, blieb als einzige Wahrheit das Gefühl eines jeden bezüglich seiner eigenen momentanen Existenz. Als letzter Wert der Hipster blieb das Ziel, überall und so oft wie möglich das zu tun, wonach sie sich gerade fühlen. Diese Erweiterung der eigenen Möglichkeiten für sich selbst zog automatisch eine Einschränkung der Möglichkeiten der anderen nach sich und folglich ein Gegenbild zur menschlichen Kooperation. Sie lebten im Übermaß und verehrten die Gegenwart wie Kinder. Diese Verehrung bestätigte die Hipster in ihrem Gedanken, dass alle Menschen das Recht haben, zeitweilig über die Körper aller anderen verfügen können. Alle sozialen Beschränkungen und Kategorien sollten aufgehoben werden. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war der Glaube an die Menschen verloren und die Anziehungskraft der Obrigkeit trennte die meisten Menschen von sich selbst. Die Hipster hingegen kehrten zu sich selbst zurück, unabhängig vom Preis der persönlichen Gewalt. Denn ein Akt persönlicher Gewalt wurde von ihnen stets einem Akt kollektiver, staatlicher Gewalt vorgezogen.

Ein wichtiger und zentraler Begriff der Kultur der Hipster ist „Jive“. Ursprünglich stammt es von „jibe“ ab – zustimmen, harmonieren, schwarz-weiß- denken. Mittlerweile hat es vielfältige Bedeutungen wie die Sprache auf den Harlemer Straßen zwischen 1920 und 1950, die Swing-Musik zwischen 1930 und 1950 und das Marihuana. Im negativen Sinne kann es betrügen bedeuten (“Don’t jive me, man”), als sinnloses Gerede eingesetzt werden (“Don’t give me that jive, man.”) oder als Ausdruck für falsche, wertlose Billigwaren (“That jive short of your sis gonna break down before you drive it round the block.”) .

ab 1970

Der moderne Hipster entwickelte sich ab 1980 in Brooklyn in New York. Dieser verarmte Stadtteil war ursprünglich größtenteils von Latinos bewohnt. Auf Grund der geringen Lebenserhaltungskosten übte er eine hohe Anziehungskraft auf Künstler aus. Sie haben das Viertel in eigener Handarbeit bewohnbar gemacht und sich Künstlerstudios eingerichtet.
Nachdem die Hipster zwischenzeitlich für tot erklärt wurden, erlebte der Begriff seine Wiedergeburt in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Jugendliche aus der Mittelklasse belebten die Trends der Vergangenheit wieder. Statt eine eigene Kultur zu schaffen, hörten sie die Musik und trugen sie die Kleidung ihrer Großeltern. Mit ihrer eigenen Kunst und Musik wollten sie unabhängig und alternativ sein. Immer mehr Geld gaben sie in Secondhand-Geschäften aus. Die zu Beginn der 90er Jahre noch sehr kleine Subkultur wurde erst 2003 erneut für tot erklärt, um dann 2007 durch die Verbreitung des Internets explosionsartig zu wachsen. Der bis dahin weitest gehend ihnen vorbehaltende Independent-Musikstil wurde durch Bands wie Franz Ferdinand, the Strokes und the Decemberists dem breiten Publikum bekannt. Online konnte nun jeder auf alle Musikrichtungen zugreifen und Lieder herunterladen, in sozialen Netzwerken begann nun jeder, von sich einzigartige Fotos einzustellen. Und Hipster waren jetzt auch in den Medien präsent – in der Werbung, in Filmen und in Fernsehserien. Aus einer wachsenden Subkultur, die wenig Aufmerksamkeit erhielt, wurde innerhalb weniger Jahre der neue Favorit der Masse. Statt Individualität auszustrahlen, gelten alle Anzeichen dafür, den Hipstern zugehörig zu sein, jetzt als Mainstream und unterschiedlichste sozialen Szenen werden sich immer ähnlicher.

Fazit

Als Ergebnis lässt sich feststellen, dass zwei verschiedene Typen des Hipster unterschieden werden müssen. Auf der einen Seite steht der ursprüngliche zwischen 1930 und 1950, auf der anderen Seite ein neuer Hipster ab 1970. Letzterer entspricht dem heutigen Bild eines weltweiten Massenphänomens, das bunte Sonnenbrillen, schrille Röhrenjeans und Jutebeutel mit dem Ziel der Andersartigkeit trägt. Ersterer hingegen bewegte sich in Amerika am Rand der Gesellschaft und entwickelte sich als vielfältige Kultur mit einer tiefgreifenden Lebenseinstellung. Er entwickelte sich zu einer Zeit, in der der Tod allgegenwärtig war, und entwand sich dem Totalirismus und dem Kapitalismus. Auf der Suche nach den eigenen Grenzen und dem eigenen Glück lebte er im Moment, reduzierte seine Meinung auf ein Schwarz-Weiß-Denken und tat stets das, wonach er sich gerade fühlte.

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